Vornehme Waschmaschine
Omas alte Waschmaschine gab eines Tages nach langjährigem treuem Dienst ihren Geist auf. In ihrer Trauer und Hilflosigkeit rief Oma zunächst den Kundendienst an. Sie verlangte nach einem Meister, einem guten. Der Meister kam und sah sich die Maschine schweigend an. Nach einer kurzen Untersuchung richtete er sich auf, räusperte sich und verkündete mit belegter Stimme, dass leider nichts mehr zu machen sei. Man könne zwar das Innenleben der Maschine erneuern, was aber teuer wäre, - und schließlich hätte man dann die neue Maschine in einem alten Gehäuse… Der Meister war mitfühlend. Alles hörte sich wie aufrichtiges Beileid an. Das gefiel Oma Lotte gut, sodass sie ihn zum Kaffee einlud.
Die vornehme Kaffeemaschine ergänzte die Runde und so kamen sie schnell ins Gespräch über die Anschaffung einer neuen Waschmaschine. Der Meister zog aus seiner Tasche glänzende Prospekte. Oma Lotte ließ sich beraten und entschied sich – wie üblich – für die edelste aller vorgeführten Maschinen, die mit allen erdenklichen Extras ausgestattet war. Der Meister lobte ihren schnellen Entschluss und gratulierte zur getroffenen Wahl.
Nach einigen Tagen kam die Lieferung und der gute Meister schloss die edle Waschmaschine in Omas Badezimmer an. Mit sanfter Stimme programmierte er die Maschine und bat sie ausgesprochen höflich, alles zu zeigen, was sie kann. Die Waschmaschine tat wie gebeten und Oma Lotte war begeistert und stolz.
Einige Wochen vergingen in Ruhe und Zufriedenheit. Doch eines Tages stand die neue Waschmaschine plötzlich still – es half kein Zureden, kein Programmieren.
Schließlich bat Oma Lotte sie ganz höflich und mit viel Takt um eine Erklärung.
Die edle Waschmaschine tat sehr beleidigt und antwortete nicht. Was war der Grund? Oma Lotte krümmte sich beinah vor schlechtem Gewissen.
Dennoch wiederholte sie noch einmal ihre Bitte…
Nach einem tiefen, vernehmlichen Seufzer flüsterte die Maschine plötzlich:
„Ich dachte, ich sei in einem vornehmen Hause, in dem Ordnung und gute Manieren oberste Gesetze sind...“
„Ich bitte tausend Mal um Verzeihung, meine Teuerste...“ stotterte Oma Lotte ganz verlegen, „..aber Sie müssen mir schon näher erklären, worum es eigentlich geht!“
„Nun, gnädige Frau, Sie müssen wissen, dass es so etwas wie eine 'Speisekarte' gibt für unsereins ...“
„Speisekarte?? Wie meinen Sie das??“
„Also, was sind das für Sitten? Ohne Beachtung der Tageszeit bekommt man Sachen in die Trommel gestopft, die überhaupt nicht angemessen sind… einfach hinter sich zu greifen, zusammen knüllen und dann rein – ohne Rücksicht auf Verluste! - So etwas ist einfach geschmacklos …, wenn ich das sagen darf!“
„Was soll ich sonst tun?“
„Na ja, man sollte die Tageszeit beachten und nicht schon zum Frühstück Bettwäsche anbieten ...“
„Ach, Sie meinen eine ... – Menü-Karte aufstellen?“
„Ja, so ist es. Zum Frühstück etwas Leichtes: zum Beispiel Seide, feine Wäsche … Mittagstisch kann schon aus Bunt- und Bettwäsche bestehen. Für den Abend sind wollene Sachen am besten ...“
Oma Lotte war tief beeindruckt und versprach, in Zukunft die vorgeschlagene 'Speisekarte' zu beachten. Ohne weitere Zwischenfälle vergingen einige Wochen.
Doch plötzlich – eines Tages – streikte die Maschine erneut. Oma Lotte erkundigte sich besorgt nach ihrem Befinden. Mit leidender Stimme antwortete die Maschine, dass sie Leitungswasser unerträglich fände.
„Und – was dann?“ fragte Oma erstaunt.
„Ich wäre Ihnen sehr verbunden,“ wisperte die Maschine, „wenn Sie mich in Zukunft mit Mineralwasser arbeiten lassen könnten.“
Oma Lotte war für einen Moment sprachlos, spürte aber tiefen Respekt und Anteilnahme einer solch ausgeprägten Empfindsamkeit gegenüber. Sie bestellte kistenweise Mineralwasser.
Ihre vornehme Waschmaschine wusch nach vorgegebener Speisekarte munter weiter, bis sie sich eines Tages wieder in Schweigen hüllte. Oma Lotte war irritiert und fragte vorsichtig, was denn nun los sei.
Dieses Mal blieb die Waschmaschine lange stumm.
Es bedurfte viel Geduld und wiederholtes Nachfragen, bis sie endlich vorwurfsvoll stöhnte:
„Es ist kaum zu glauben … dass man es einfach vergessen hat … das Jahresjubiläum … unmöglich!!“
Oma Lotte hatte sofort ein schlechtes Gewissen und fuhr zusammen. Wie konnte sie das vergessen haben!? Sie entschuldigte sich vielmals und fragte die Maschine, was sie sich zum Feiern wünsche.
„Champagner – natürlich!“ sagte diese vorwurfsvoll fordernd.
Oma Lotte kam aus dem Staunen nicht heraus und bestellte sofort Champagner.
Heimlich bereitete sie die anspruchsvolle Feier für den Abend vor. Die schönsten Wäschestücke hatte sie zusammen gesucht: ihre seidene Unterwäsche, feine Blusen und Schals.
Dem Opa erzählte sie davon nichts.
Nachdem sie alles 'angerichtet' hatte, zog sie sich zurück und ließ ihre vornehme Waschmaschine im Schongang pflegeleicht feiern. Spät in der Nacht, als Opa Otto die Toilette aufgesucht hatte, kam er aufgeregt zurück und fragte, was denn um Himmels willen mit der Waschmaschine los sei.
„Was soll los sein?“ antwortete Oma mit der Gegenfrage.
„Komm, sieh dir das selbst an ...“ sagte Opa ärgerlich.
Oma sprang auf und eilte – nichts Gutes ahnend – ins Badezimmer.
Voll Entsetzen sah sie überall auf dem nassen Boden die feinen Wäschestücke verstreut und die Maschine mit weit aufgesperrter Klappe. Das war zu viel – voll plötzlicher Wut sammelte sie die Wäsche zusammen und stopfte sie heftig ins ohnmächtig offene Maul der Waschmaschine.
Die erzitterte vor Überraschung, als der gläserne runde Verschluss entschieden zuklappte.Mit bebender Stimme schnauzte Oma Lotte die entsetzte Maschine an:
„Jetzt habe ich aber genug … Von wegen Vornehmheit! … Ab jetzt wird ohne Speisekarte und mit Leitungswasser gewaschen! Verstanden!? Sonst werde ich Dich, ohne mit der Wimper zu zucken, verschrotten … Du, du verdammter Schrotthaufen du …!! So etwas lasse ich mir nicht mehr bieten … und Basta!!“
Sonderwünsche hat sich die gute Maschine nie mehr erlaubt. Still und fleißig hat sie alle Wäsche gewaschen.
Oma Lotte hat sich nie getraut, ihr dafür Lob auszusprechen und blieb – trotz großer Zufriedenheit – stets auf vornehmer Distanz.
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